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Kommentar: Ist die Hormontherapie in den Wechseljahren wirklich rehabilitiert?

In dieser Woche hat der Berufsverband der Frauenärzte gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe und der Deutschen Menopause Gesellschaft eine Pressemitteilung versandt, die man als Versuch lesen muss, die Risiken einer Hormontherapie in den Wechseljahren herabzuspielen.

Anlass der Pressemitteilung ist eine Publikation im NEJM vom März, in der zwei Autoren der WHI-Studie beklagen, dass die Studienergebnisse jahrelang fehlinterpretiert und deshalb Frauen eine wirksame Hormontherapie vorenthalten worden sei. Zur Erinnerung: Die WHI-Studie war eigentlich als Präventionsstudie angelegt und musste vorzeitig abgebrochen werden, weil bei Frauen, die mit Hormonen behandelt wurden, die kardiovaskulären Risiken sogar zunahmen. In der NEJM-Publikation beklagen die WHI-Autoren jedoch, dass die Risiken stärker wahrgenommen werden als der mögliche Nutzen, der sich in der WHI-Studie ebenfalls gezeigt hat, etwa im Hinblick auf Hitzewallungen, aber auch auf andere Effekte.

Auf diesen Zug springen jetzt die Frauenärzte auf. In der Pressemitteilung heißt dazu:
Betrachtet man in der WHI-Studie nur die Frauen zwischen 50 und 59 Jahren, kann bei ihnen neben der nachhaltigen Beseitigung der Hormonmangel-Symptome auch eine geringere Zahl an Knochenbrüchen, eine Senkung der Erkrankungsrate an Diabetes und an Todesfällen allgemein festgestellt werden, und bei der Untergruppe mit einer alleinigen Estrogentherapie sogar eine Senkung der Brustkrebs-Rate im Vergleich zu der mit einem Plazebo behandelten Gruppe. Das heisst, eine Hormonersatztherapie sollte im Idealfall sofort beim Eintreten der Wechseljahre beginnen, um den größtmöglichen Benefit zu erlangen.
Das ist allerdings ein sehr selektives Zitat aus der NEJM-Publikation. Dort gibt es eine grafische Darstellung, die Nutzen und Risiken sehr deutlich aufzeigt. Hier zitiere ich nur die Zahlen für die Behandlung mit Estrogen+Gestagen, da eine gestagenfreie Therapie nur für Frauen ohne Uterus in Frage kommt, etwa nach einer Hysterektomie. Die Zahlen beziehen sich auf Fälle pro 1000 Frauen zwischen 50 und 59 Jahren, die über 5 Jahre behandelt werden, und stammen aus einer Publikation, die Follow-up-Daten der WHI-Studie zusammenfasst:

Nutzen
  • Darmkrebs - 0,5
  • Alle Arten von Krebs -0,5
  • Alle Frakturen -12,0
  • Gesamtmortalität -5,0
  • Diabetes -5,5
Risiken
  • Koronare Herzkrankheit +2,5
  • Schlaganfall +2,5
  • Tiefe Venenthrombose +5,0
  • Brustkrebs +3,0 
Bei der Hormontherapie in den Wechseljahren liegen Nutzen und Risiken also eng beieinander. Leider verschweigt die Pressemitteilung genau diese Risiken und betont nur den Nutzen der Hormontherapie. Im Hinblick auf eine informierte Entscheidung der jeweiligen Frau ist das unverantwortlich.

Ist bisher in Deutschland Frauen eine Hormontherapie in den Wechseljahren vorenthalten worden? Ein Blick in die Leitlinien (die gerade überarbeitet werden) zeigt: Auch dort wird betont, dass sowohl Nutzen als auch Risiken bestehen, die der Arzt der betreffenden Frau darstellen soll, so dass sie eine individuelle Entscheidung für oder gegen die Hormontherapie treffen kann - das entspricht auch der Studienlage. Von einer Verteufelung der Hormontherapie kann also keine Rede sein.

Vor diesem Hintergrund sollten Frauen also gerade nicht "wirklich erleichtert" sein, wie es der Pressemitteilung heißt, sondern sich vielmehr fragen, welche "hidden agenda" die drei Gesellschaften eigentlich verfolgen.

Edit 11.05.2016: In der ersten Fassung war nur vom Berufsverband für Frauenärzte die Rede. Die Pressemitteilung wurde jedoch gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe sowie der Deutschen Menopause-Gesellschaft erstellt.